Samstag, 28. Mai 2011

ABC

Ein weiterer Tag im Feld. Gestern Nacht gab es ein Gewitter. Das allein hat genügt um zahlreiche der Häuser in den Dörfern hier zum Einsturz zu bringen. Eine Frau wurde von dem herabfallenden Dach erschlagen. Häuser, die ich gestern noch besucht habe, sind heute dem Erdboden gleich gemacht. Die Leute sind daran gewöhnt. Die Stimmung im Dorf ist unverändert.


Donnerstag, 26. Mai 2011

And yet another adventure

Derzeit reise ich in Sindh auf der Suche nach neuen Projektregionen. Sindh ist ganz anders organisiert als Punjab. Hier haben große Feudalherren das Sagen, die administrativen Strukturen sind sehr schwach. Ein guter Freund meines Projektkoordinators hat hier zehntausende Hektar an Land. Er ist extrem bemüht um die Bevölkerung auf seinem Land -möchte ihnen helfen. Gewöhnlich ist es eher problematisch mit Feudalherren zusammenzuarbeiten, da immer ein gewisses Risiko besteht, dass die Begünstigten aus den Häusern geworfen werden. Bei Mohammad Malook habe ich ein gutes Gefühl.
Der erste Halt ist in einem Dorf wenige Kilometer von der Autobahn entfernt. Dort gibt es zwei Schulen. Die Kinder sind aufgeweckt. Interessiert an mir. Sie zeigen mir wie man sich die Hände wäscht – der Lehrer hat es ihnen offenbar oft vorgemacht. Sie wissen genau wie man vorgeht. Alle haben eine Zahnbürste.  Zahnbürste und Seife werden von einer NGO bereit gestellt. Ich lasse die Kinder das Alphabet aufsagen – sie sind zuckersüß. Auch wenn der Unterricht nur unter einem Strohdach stattfindet – dies hier ist eine Vorzeigeschule.
Zusammen mit dem Feudalherren und meinen Partnern fahre ich tiefer ins Nichts - in unfassbar abgelegene Dörfer. Keine Straßen, das Land ist flach, keine Orientierungsmöglichkeiten. Staub, Staub und noch mehr Staub.  Ohne dem Feudalherren ist es beinahe unmöglich hier unterwegs zu sein, da die Sicherheitslage zu gefährlich ist. Es kommt häufig zu Entführungen und Lösegeldforderungen.
Im letzten Winkel Khairpurs (Sindh) steigen wir aus unserem riesigen Land Cruiser. Die Männer im Ort empfangen uns. Ich fange an mit dem Dorfältesten zu reden. Er hat drei Ehefrauen und zwanzig Kinder – vierzehn Mädchen und sechs Buben. Schulen gibt es keine. Hauptsächlich interessieren mich Baumethoden, Hygienegewohnheiten, Trinkwasser und der Zugang zum Markt. Im Ort gibt es einen funktionierenden Brunnen, den die Regierung dort errichtet hat. Leider haben sie nicht tief genug gebohrt. Das Wasser ist zwar klar, aber kontaminiert. Durchfall-, und Hauterkrankungen plagen die Bevölkerung. Oder eigentlich nicht – diese Krankheiten gehören einfach zum Alltag. Nachdem ich meinen Fragenkatalog abgearbeitet habe, frage ich was sie am dringendsten brauchen. Die Antwort der Männer ist klar – Strom. Wir wollen Strom. Ach, und ein Haus. Momentan laden sie ihre Mobiltelefone an der Batterie eines Mopeds auf.
Als Frau darf ich auch das eigentliche Dorf betreten – meine männlichen Projektpartner müssen draußen bleiben. Ich habe das Privileg mit den Frauen und Kindern zu sprechen. Als ich die Frauen frage was sie am nötigsten brauchen ist die Antwort eine andere. Wasser. Wir brauchen gesundes Wasser und ein Dach über dem Kopf. Die Menschen leben in Konstruktionen aus Holzstangen und Stroh. Sie sind dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Außerdem ist es für Frauen problematisch ‚die Toilette‘ zu benutzen. ‚Die Toilette‘ ist einfach ein freies Stück Land direkt hinter dem Dorf – die Frauen fühlen sich nicht sicher. Sie können nicht gehen solange Männer im Dorf sind – können keine intimen Körperteile enthüllen, sich auch nicht waschen. Sie müssen warten bis keine Männer in der Nähe sind.
In Zentral- Sindh ist die Frau die treibende Kraft im Haus. Nicht nur, dass sie die Kinder erzieht, kocht, Feuerholz sammelt und den Haushalt in Ordnung hält – hier macht sie auch die Feldarbeit. Faszinierend.
Momentan wird auf den Feldern jedoch nichts angepflanzt. Kilometerweit nichts als Büsche und die Überreste der Weizenernte. Gewöhnlich gibt es in Pakistan zwei Erntezyklen. Im Frühling wird Weizen angebaut, im Sommer dann Baumwolle, beziehungsweise abhängig von der Region auch Reis, Zuckerrohr, Datteln und Sonnenblumen. Die Bevölkerung in Khairpur ist allerdings so traumatisiert von der letzten Flut, dass sie sich weigert die so genannten Cash-Crops zu pflanzen. Weizen dient in erster Linie der Ernährung. Baumwolle bringt etwas Geld ins Haus. Die Setzlinge würden ihnen vom Feudalherren zur Verfügung gestellt werden – aber keiner wagt es. Alle fürchten das Wasser. Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es hier noch vor wenigen Monaten ausgesehen haben muss. Wie gesagt, die Gegend ist flach – nicht einmal am Horizont sieht man einen Hügel. Das alles soll 9 Fuß unter Wasser gestanden haben?  Nur mit dem Boot zugänglich? Unvorstellbar. Wahrlich unvorstellbar.

Women & Children of Sadiqabad I

Es ist einfach schneller ein Video hochzuladen als jedes Foto einzeln. Die Übergänge sind etwas zu lang und die Qualität der Bilder, vor allem im Vollbildmodus, nimmt drastisch ab, aber es war ein erster Versuch. Ich hoffe es gefällt.


Mittwoch, 11. Mai 2011

Der Tod von OBL und die grünen ENGRO Säcke


Viel ist passiert in den letzten Tagen. Zum einen habt ihr sicherlich gelesen, dass OBL letzten Montag erschossen wurde. Mein Hany ist in den folgenden Tagen heiß gelaufen. Sicherheitsbeauftragte diverser Organisationen, der Botschafter, mein Büro in Wien haben angerufen. Keiner wusste die Lage tatsächlich einzuschätzen. Manche Organisationen sind aus Islamabad raus, andere haben ihr Personal vom Feld in die nächsten größeren Städte gebracht. Manche Organisationen haben ihr Personal überhaupt außer Landes gebracht.

Ich sollte am Mittwoch auf einen  Trip ins Feld gehen,  um die Fortschritte bei unserem Projekt in Rahim Yar Khan unter die Lupe zu nehmen. Außerdem sollte ich eine neue Projektregion ausfindig machen. Am Telefon wird mir geraten mich nicht aus meinem Apartment zu bewegen und meinen Field Trip abzusagen. Kaum lege ich auf sehe ich ein SMS das sagt: Fahr nur, dort ists sicherer als hier. So ging es den ganzen Montag und Dienstag lang. Am Mittwoch habe ich mich kurzfristig dazu entschlossen einfach ins Flugzeug zu steigen. Für meinen Bauch fühlte es sich richtig an. Meine Partner vor Ort hielten es auch für tendenziell ungefährlich.
In Südpunjab ist Terrorismus nicht sonderlich organisiert, wenn ist hier die Gefahr eher, dass ein einzelner Fundamentalist mit einer Waffe auftaucht. Jeder Weiße wird hier ohnedies für einen Amerikaner gehalten.
Security Threats gehen bei der Regierung und den Vereinten Nationen ein. Immer wieder kommen Gerüchte auf, von wegen, dass größere Attentate geplant sind, dass sie ein Flugzeug abschießen wollen…etc. You name it.

Am Boden fühlt sich alles ruhig an. Die Menschen in Islamabad und Punjab scheint der Tod von OBL gleichgültig zu sein. Sie hoffen nur, dass nun endlich die US Truppen aus ihrem Land abziehen. Sie sind verärgert darüber, dass OBL so lange unentdeckt in einer mittelgroßen Stadt mit zahlreicher Militärpräsenz leben konnte. Ich fühle mich recht sicher. Nur manchmal, wenn einem wieder Gerüchte zu Ohren kommen, kann einem schon mulmig werden. Meinen letzten Flug habe ich jedenfalls nicht sehr genossen. Mein Wiener Büro steht aber voll und ganz hinter mir – es ist meine Entscheidung ob ich hier bleiben möchte, oder ob mir das zu gefährlich ist. Ich bleibe. Ich liebe dieses verschrobene Land einfach.

Das Projekt in Rahim Yar Khan wächst und gedeiht. Die großen Hindernisse sind überwunden und die ersten Häuser sind bereits errichtet. Es besteht noch eine gewisse Skepsis seitens der Bevölkerung was unsere Baumethode (earth bag construction) anbelangt. Sie räumen aber alle ein, dass es eine äußerst stabile Konstruktion ist. Meine Partnerorganisation hat wirklich kreative Systeme entwickelt um die Arbeiter zu motivieren und den Arbeitsprozess voranzutreiben. Die Non Food Items (NFIs) wurden bereits geliefert und werden in der nächsten Woche verteilt.

Ich habe die Zeit im Ort sehr genossen. Auch wenn ich mit dem schlimmsten Durchfall dort angekommen bin. Und habe ich erwähnt, dass es dort keine Toiletten gibt? Das bedeutet, dass ich habe Imodium geschluckt wie andere TikTaks. Außerdem ist das Feld nicht gerade der richtige Ort um Durchfall los zu werden. Wohin auch immer ich gehe, innerhalb kürzester Zeit versammeln sich Menschenmengen um mich. Ich werde gefragt ob ich Chai, pani oder ‚cold drink‘ haben möchte. Ich lehne alles dankend ab. Aber, Pakistan ist einfach ein gastfreundliches Land und wenige Sekunden später steht ein kleiner Junge vor mir, der mir ein Glas Milch reicht. Ich habe keine andere Wahl. Das Glas ist schmutzig, und als ich den ersten Schluck nehme, schwimmen mir zwei Käfer entgegen. Ich lache innerlich. Ignoriere es. Ich versuche die Milch an ein paar Kinder weiterzugeben – vergebens. Die Käfer tümpeln weiter in dem kühlen Weiß, ich ignoriere sie einfach und betrachte sie als nährstoffhaltige Nahrungserweiterung. Nach wenigen Minuten jedoch, bemerkt auch eine Frau die Käfer und steckt ihre ganze Hand in mein Milchglas um diese heraus zu fangen. Habe ich schon erwähnt, dass es dort keine Toiletten gibt? Und es Leute generell mit der Körperhygiene nicht so ernst nehmen? Zu diesem Zeitpunkt brülle ich schon innerlich vor lachen – mein einziger Gedanke ist, dass ich das nächste Imodium schon auspacken kann.

Am ersten Tag wurde ich wie jedes Mal noch mit einer gewissen Skepsis beäugt, was nichts daran ändert, dass ich normalerweise von 40 Menschen umgeben bin. Manche Kinder verstecken sich hinter den Eltern, wieder andere hinter einer Hausecke. Hin und wieder sieht man ihre Wuschelköpfe um die Ecke blitzen – die Neugier treibt sie an. Am zweiten Tag haben sie vertrauen gefasst. Die Kinder posen vor der Kamera. Schubsen sich gegenseitig um vor meine Linse zu kommen. Danach sehen sie sich das von mir produzierte Ergebnis auf dem Display meiner Kamera an. Sie finden das zum schreien komisch. Frauen und Kinder stellen mir Fragen auf Sereiki. Wenn mein Projektpartner gerade die Arbeit bespricht stehe ich ohne Übersetzer da. Ich versuche aus dem Kontext die Bedeutung abzuleiten und mit Händen und Füßen zu antworten. Die Dorfbewohner lachen über mich, lachen mit mir. Ich ärgere die Kinder.

In einem Haus finden wir einen 68-jährigen Mann, der schwer unterernährt ist. Sein Oberschenkel hat den Durchmesser meines Oberarms – wenn überhaupt. Seine Knie klaffen wie dicke Kanonenkugeln in der Mitte seines Beines. Sie wirken wie ein Fremdkörper, oder als ob man sie durch eine Lupe betrachten würde. Er hustet, schwitzt, kann sich kaum auf den Beinen halten. Seine Frau hat allerdings genug Gewicht für zwei. Wir fragen sie ob sie ihrem Mann denn alles wegisst – alle lachen. Der Mann hat einfach keinen Hunger. Sein Magen ist feste Nahrung gar nicht mehr gewöhnt.

 Wir beschließen ihn in das nächste Krankenhaus zu fahren. Dieses ist in etwa 45 Minuten vom Dorf entfernt – per Auto. Zum Glück lässt sich der Arzt überreden an seinem freien Tag in die Klinik zu kommen. Eine wirkliche Diagnose haben wir nicht, aber er bekommt ein Lungenröntgen, Infusionen, Medikamente und ich habe ihm noch high energy shakes gekauft. Diese haben Fette, Vitamine, Kalzium etc und vor allem viele Kalorien. Diese werden seiner Familie einzeln ausgehändigt um zu vermeiden, dass sie die Shakes verkaufen. Ich hoffe wirklich sehr, dass ich bei meinem nächsten Besuch ein kleines, dickes Männchen vor mir habe – die Chancen sehen allerdings nicht gut aus.

Auf der Fahrt vom Krankenhaus schließe ich meine Augen und genieße das breite Grinsen in meinem Gesicht. Wie habe ich es bloß verdient hier zu sein?