Mittwoch, 11. Mai 2011

Der Tod von OBL und die grünen ENGRO Säcke


Viel ist passiert in den letzten Tagen. Zum einen habt ihr sicherlich gelesen, dass OBL letzten Montag erschossen wurde. Mein Hany ist in den folgenden Tagen heiß gelaufen. Sicherheitsbeauftragte diverser Organisationen, der Botschafter, mein Büro in Wien haben angerufen. Keiner wusste die Lage tatsächlich einzuschätzen. Manche Organisationen sind aus Islamabad raus, andere haben ihr Personal vom Feld in die nächsten größeren Städte gebracht. Manche Organisationen haben ihr Personal überhaupt außer Landes gebracht.

Ich sollte am Mittwoch auf einen  Trip ins Feld gehen,  um die Fortschritte bei unserem Projekt in Rahim Yar Khan unter die Lupe zu nehmen. Außerdem sollte ich eine neue Projektregion ausfindig machen. Am Telefon wird mir geraten mich nicht aus meinem Apartment zu bewegen und meinen Field Trip abzusagen. Kaum lege ich auf sehe ich ein SMS das sagt: Fahr nur, dort ists sicherer als hier. So ging es den ganzen Montag und Dienstag lang. Am Mittwoch habe ich mich kurzfristig dazu entschlossen einfach ins Flugzeug zu steigen. Für meinen Bauch fühlte es sich richtig an. Meine Partner vor Ort hielten es auch für tendenziell ungefährlich.
In Südpunjab ist Terrorismus nicht sonderlich organisiert, wenn ist hier die Gefahr eher, dass ein einzelner Fundamentalist mit einer Waffe auftaucht. Jeder Weiße wird hier ohnedies für einen Amerikaner gehalten.
Security Threats gehen bei der Regierung und den Vereinten Nationen ein. Immer wieder kommen Gerüchte auf, von wegen, dass größere Attentate geplant sind, dass sie ein Flugzeug abschießen wollen…etc. You name it.

Am Boden fühlt sich alles ruhig an. Die Menschen in Islamabad und Punjab scheint der Tod von OBL gleichgültig zu sein. Sie hoffen nur, dass nun endlich die US Truppen aus ihrem Land abziehen. Sie sind verärgert darüber, dass OBL so lange unentdeckt in einer mittelgroßen Stadt mit zahlreicher Militärpräsenz leben konnte. Ich fühle mich recht sicher. Nur manchmal, wenn einem wieder Gerüchte zu Ohren kommen, kann einem schon mulmig werden. Meinen letzten Flug habe ich jedenfalls nicht sehr genossen. Mein Wiener Büro steht aber voll und ganz hinter mir – es ist meine Entscheidung ob ich hier bleiben möchte, oder ob mir das zu gefährlich ist. Ich bleibe. Ich liebe dieses verschrobene Land einfach.

Das Projekt in Rahim Yar Khan wächst und gedeiht. Die großen Hindernisse sind überwunden und die ersten Häuser sind bereits errichtet. Es besteht noch eine gewisse Skepsis seitens der Bevölkerung was unsere Baumethode (earth bag construction) anbelangt. Sie räumen aber alle ein, dass es eine äußerst stabile Konstruktion ist. Meine Partnerorganisation hat wirklich kreative Systeme entwickelt um die Arbeiter zu motivieren und den Arbeitsprozess voranzutreiben. Die Non Food Items (NFIs) wurden bereits geliefert und werden in der nächsten Woche verteilt.

Ich habe die Zeit im Ort sehr genossen. Auch wenn ich mit dem schlimmsten Durchfall dort angekommen bin. Und habe ich erwähnt, dass es dort keine Toiletten gibt? Das bedeutet, dass ich habe Imodium geschluckt wie andere TikTaks. Außerdem ist das Feld nicht gerade der richtige Ort um Durchfall los zu werden. Wohin auch immer ich gehe, innerhalb kürzester Zeit versammeln sich Menschenmengen um mich. Ich werde gefragt ob ich Chai, pani oder ‚cold drink‘ haben möchte. Ich lehne alles dankend ab. Aber, Pakistan ist einfach ein gastfreundliches Land und wenige Sekunden später steht ein kleiner Junge vor mir, der mir ein Glas Milch reicht. Ich habe keine andere Wahl. Das Glas ist schmutzig, und als ich den ersten Schluck nehme, schwimmen mir zwei Käfer entgegen. Ich lache innerlich. Ignoriere es. Ich versuche die Milch an ein paar Kinder weiterzugeben – vergebens. Die Käfer tümpeln weiter in dem kühlen Weiß, ich ignoriere sie einfach und betrachte sie als nährstoffhaltige Nahrungserweiterung. Nach wenigen Minuten jedoch, bemerkt auch eine Frau die Käfer und steckt ihre ganze Hand in mein Milchglas um diese heraus zu fangen. Habe ich schon erwähnt, dass es dort keine Toiletten gibt? Und es Leute generell mit der Körperhygiene nicht so ernst nehmen? Zu diesem Zeitpunkt brülle ich schon innerlich vor lachen – mein einziger Gedanke ist, dass ich das nächste Imodium schon auspacken kann.

Am ersten Tag wurde ich wie jedes Mal noch mit einer gewissen Skepsis beäugt, was nichts daran ändert, dass ich normalerweise von 40 Menschen umgeben bin. Manche Kinder verstecken sich hinter den Eltern, wieder andere hinter einer Hausecke. Hin und wieder sieht man ihre Wuschelköpfe um die Ecke blitzen – die Neugier treibt sie an. Am zweiten Tag haben sie vertrauen gefasst. Die Kinder posen vor der Kamera. Schubsen sich gegenseitig um vor meine Linse zu kommen. Danach sehen sie sich das von mir produzierte Ergebnis auf dem Display meiner Kamera an. Sie finden das zum schreien komisch. Frauen und Kinder stellen mir Fragen auf Sereiki. Wenn mein Projektpartner gerade die Arbeit bespricht stehe ich ohne Übersetzer da. Ich versuche aus dem Kontext die Bedeutung abzuleiten und mit Händen und Füßen zu antworten. Die Dorfbewohner lachen über mich, lachen mit mir. Ich ärgere die Kinder.

In einem Haus finden wir einen 68-jährigen Mann, der schwer unterernährt ist. Sein Oberschenkel hat den Durchmesser meines Oberarms – wenn überhaupt. Seine Knie klaffen wie dicke Kanonenkugeln in der Mitte seines Beines. Sie wirken wie ein Fremdkörper, oder als ob man sie durch eine Lupe betrachten würde. Er hustet, schwitzt, kann sich kaum auf den Beinen halten. Seine Frau hat allerdings genug Gewicht für zwei. Wir fragen sie ob sie ihrem Mann denn alles wegisst – alle lachen. Der Mann hat einfach keinen Hunger. Sein Magen ist feste Nahrung gar nicht mehr gewöhnt.

 Wir beschließen ihn in das nächste Krankenhaus zu fahren. Dieses ist in etwa 45 Minuten vom Dorf entfernt – per Auto. Zum Glück lässt sich der Arzt überreden an seinem freien Tag in die Klinik zu kommen. Eine wirkliche Diagnose haben wir nicht, aber er bekommt ein Lungenröntgen, Infusionen, Medikamente und ich habe ihm noch high energy shakes gekauft. Diese haben Fette, Vitamine, Kalzium etc und vor allem viele Kalorien. Diese werden seiner Familie einzeln ausgehändigt um zu vermeiden, dass sie die Shakes verkaufen. Ich hoffe wirklich sehr, dass ich bei meinem nächsten Besuch ein kleines, dickes Männchen vor mir habe – die Chancen sehen allerdings nicht gut aus.

Auf der Fahrt vom Krankenhaus schließe ich meine Augen und genieße das breite Grinsen in meinem Gesicht. Wie habe ich es bloß verdient hier zu sein?

1 Kommentar:

  1. meine wunderbare!

    zum ersten mal fühle ich bei deinem blog, dass ich dort bin, dass ich mit dir die milch schlürfe, die käfer knabbere, an magenkrämpfen leide. ich vermisse dich und quer über mein gesicht zieht sich ein grinsen. aus freude. aus schmerz. aus mitgefühl. aus eigentragödie.

    lass uns bald mal wieder plaudern.
    ich liebe dich! deine marion

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