Mittwoch, 9. März 2011

Sadiqabad I


Derzeit halte ich mich in unserer neuesten Projektregion, Sadiqabad, in Rahim Yar Kahn auf. Gestern haben wir (die lokalen Partner und ich) uns in einem riesigen Jeep auf den Weg gemacht um die Dörfer zu besichtigen, in denen Häuser, Latrinen und Brunnen gebaut und Güter verteilt werden sollen. Erst mal haben wir uns ordentlich verfahren. Erst nach etwa drei Stunden und unzähligen Gesprächen mit Einheimischen haben wir unsere Projektregion gefunden (zum Glück, es wäre wirklich schwer gewesen unseren Spendern zu erklären, dass das Projekt nicht durchgeführt werden kann, weil wir die Region nicht mehr finden haha ;-)) Die Dörfer sind extrem abgelegen und daher auch von internationalen Organisationen weitestgehend unbesucht. Karten gibt es keine, abgesehen von handgefertigten Aufzeichnungen, die man aber nicht so leicht bekommt.

Zum Vergrößern, einfach auf das Foto klicken.
Das Bild rechts oben ist allerdings nicht aus Saidqabad.
Auch ein Jahr nach der Katastrophe sind die Lebensumstände der Dorfbewohner existenzbedrohend. Die Leute leben unter Planen, in Zelten, Strohhütten, oder in Häusern, die sie aus herumliegenden Ziegeln errichtet haben. Niemand dort hat eine Latrine, ich bin durch alle Arten von Fäkalien gewatet – tierisch und menschlich. Die Familien, die ihre Häuser selbst wiedererbaut haben, werden aber beim nächsten Hochwasser wieder obdachlos sein – und das nächste Hochwasser kommt bestimmt – im Juli und August ist Monsunzeit. Sie verwenden ungebrannten Ziegel,  statt Zement verwenden sie Schlamm, der aber nicht einmal auf den ganzen Ziegel aufgetragen wird, sondern nur punktuell verteilt wird. Hinzu kommt, dass die Wand nur einreihig ist, was bedeutet, dass die Wände ca. 10cm stark sind. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sich ein Mensch an der  Mauer anlehnen könnte. Manche NGOs sind nicht besser. Ich habe Häuser gesehen, die genau gleich aussehen, nur dass ein Schild von einer NGO an der Türe hängt.

Was wir planen wird recht abenteuerlich. Es ist eine recht neue Methode (earthbag construction method), die hochwassersicher ist und Erdbeben bis zu einer Stärke von 7,2 auf der Richterskala aushält. Im Wesentlichen  werden robuste Säcke, zB solche, wie sie zur Aufbewahrung von Reis verwendet werden, mit einer speziellen Mischung aus Erde und Zement gefüllt. Alle Materialien sind lokal erhältlich. Ein Graben wird ausgehoben, der mit Kiesel gefüllt wird, um den Wasserabfluss zu erleichtern und um das Fundament zu stärken. Danach werden die Erdsäcke geschlichtet wie Ziegel, bevor die nächste Reihe aufgetragen wird, wird Stacheldraht auf die unteren Säcke gelegt.  Ein einzelner Sack wiegt 36kg, durch das Gewicht wird die Konstruktion extrem solide, auch wenn das nach der Beschreibung hier vielleicht nicht so klingt. Noch dazu ist die Methode umweltfreundlich. Am Ende werden die Wände mit einer Mischung aus Schlamm und Stroh verputzt – dann sieht das Haus so aus wie auch jedes andere Haus in der Gegend.

Die Methode wird jedoch auf viel Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Die Leute hier sind in dieser Hinsicht unflexibel, sie werden ihre Ziegelhäuser verlangen. Das sind sie gewohnt. Die ersten 10 Tage, bis die ersten paar Häuser stehen, wird also viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Erfahrungsgemäß, schlägt die Skepsis aber nach wenigen Tagen in eine Art Begeisterung um, wenn man dann schließlich erahnen kann, dass das tatsächlich am Ende ein bewohnbares Haus sein wird.

Nur zwei kleine Beispiele für Probleme die auftreten können: Das ursprüngliche Design enthielt ein winziges Fenster an der Rückwand, so hoch über dem Grund, dass eine normale gewachsene Person, nicht ins Haus hinein sehen kann. Der Grund für dieses Fenster war in erster Linie cross-ventilation, da in den Häusern Großteils auch in einer Erdmulde gekocht wird. Die Bevölkerung hat sich so dagegen aufgelehnt, geschrien, dass ihnen das die Privatsphäre genommen wird, so dass dieses Fenster nun aus den Plänen gestrichen wurde. Als wir die Pläne einer anderen pakistanischen NGO gezeigt haben, war die einzige Frage zu dem Model: „Wie dick sind die Wände?“. Die Säcke haben eine Stärke von 18 Inches. Inklusive Verputz, misst die Wand in etwa 22 Inches. Die Reaktion war: „People are only used to 13 inch walls maximum!“ Ja, nur ist das unter anderem auch einer der Gründe, warum jedes Jahr in der Monsunzeit das gleiche passiert – die Leute stehen vor Trümmern. Das wird jedenfalls eine ziemliche Herausforderung, denn ohne Unterstützung der Bevölkerung wird das Projekt keinen Erfolg haben.
Auch beim Bau der Latrinen und Brunnen warten einige Herausforderungen. Jeder möchte einen eigenen Brunnen, was grundsätzlich nicht schlecht ist, denn bei öffentlichen Brunnen, fühlt sich keiner für Wartung und Reparatur verantwortlich. Auch wird jedes Haus mit einer Latrine ausgestattet werden müssen. In anderen Dörfern hat die UN öffentliche Toiletten gebaut, die nach wie vor nagelneu sind – keiner benutzt sie. Im Idealfall sind Latrine und Brunnen 30 Meter voneinander entfernt – was schwierig bzw. unmöglich ist, da das Stück Land, das die Leute bewohnen, vermutlich nicht einmal 10 Meter lang ist. Abgerundet wird das Projekt mit einer intensiven Aufklärungsphase: warum soll man eine Latrine benutzen? warum soll man seine Hände waschen soll? wie man „gutes“ und „schlechtes“ Wasser erkennt etc. Ich freu mich schon darauf – kann kaum erwarten, bis das Projekt in die Bauphase geht.

Sonst ist das Land nach wie vor eindrucksvoll. Kinder baden in großen Regenlacken, Esel werden auf Motorrädern transportiert, Kamele ziehen gigantische Lasten und die Lastkraftwagen sind kunstvoll verziert und bemalt. Generell gibt es hier wunderbare Handwerkskunst. Die Menschen sind Großteils sehr herzlich und bemüht, das Land ist wunderschön. In ein paar Jahren, oder Jahrzehnten kann hier Großes geschehen - Insha'Allah!

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